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Die Leckerbissen zuerst: Bakterien haben einen Menüplan beim Abbau von Algenblüten

09.03.2021

Jedes Frühjahr vermehren sich in der Nordsee massenhaft winzige Algen und geben große Mengen Zucker ins umgebende Wasser ab – ein Festmahl für Bakterien. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und der Universität Greifswald haben nun die Speisenfolge dieses Festmahls untersucht: Erst vernaschen die Bakterien die leicht verdaulichen Leckerbissen, danach die zähen Brocken. Zu diesem Einblick gelangten die Forschenden, indem sie spezielle Proteine der Bakterien untersuchten, mit deren Hilfe wir den marinen Kohlenstoffkreislauf besser verstehen können.

Die Insel Helgoland in der Deutschen Bucht war der Ausgangspunkt der Probenahmekampagnen zur Untersuchung von Algen- und Bakterienblüten in der Nordsee. © CC-BY-2.0 / Dirk Vorderstraße
Die Insel Helgoland in der Deutschen Bucht war der Ausgangspunkt der Probenahmekampagnen zur Untersuchung von Algen- und Bakterienblüten in der Nordsee. © CC-BY-2.0 / Dirk Vorderstraße

Die jährlichen Algenblüten in der Nordsee sind wichtig für unser Klima, denn sie entziehen der Atmosphäre große Mengen an Kohlendioxid. Sie sind jedoch kurzlebig. Wenn die Algen absterben, wird der meiste Kohlenstoff ins umgebende Meerwasser abgegeben. Dort warten bereits Bakterien darauf, sicher darüber herzumachen und die Algenreste zu verzehren.

In früheren Studien wurde nachgewiesen, dass bei diesen Blüten von Jahr zu Jahr unterschiedliche Algenarten die Oberhand gewinnen können. Bei den Bakterien, welche die Algen wieder abbauen, herrschen dennoch alljährlich dieselben spezialisierten Gruppen vor. Offenbar bestimmen nicht die Algen selbst, sondern ihre Bestandteile – vor allem Ketten von Zuckermolekülen, die sogenannten Polysaccharide – welche Bakterien gedeihen. Die Details der bakteriellen Reaktion auf das Algenfestmahl sind bis heute nicht vollständig verstanden.

Saisonale Blüten winziger Algen spielen eine wichtige Rolle im marinen Kohlenstoffkreislauf. Nun wurde ein neues Detail der sie umgebenden Geheimnisse aufgedeckt. © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / G. Reintjes
Saisonale Blüten winziger Algen spielen eine wichtige Rolle im marinen Kohlenstoffkreislauf. Nun wurde ein neues Detail der sie umgebenden Geheimnisse aufgedeckt. © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / G. Reintjes

Metaproteomik: Bakterielle Proteine en gros untersuchen

Deshalb hat Ben Francis nun zusammen mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie, der Universität Greifswald und des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen einen genaueren Blick auf das Innenleben der Bakterien geworfen. „Wir entschieden uns für eine Methode namens Metaproteomik, bei der wir alle Proteine in einer mikrobiellen Gemeinschaft, in unserem Fall im Meerwasser, untersuchen“, erklärt Francis. „Dabei interessierten wir uns ganz besonders für Transporterproteine. Deren Aktivität ist entscheidend, um die Aufnahme der Algenzucker in die Bakterienzellen zu verstehen.“ Die metaproteomischen Daten zeigten, dass sich die Transporterproteine im Laufe der Zeit deutlich veränderten. „Verschiedene Transporterproteine sind vermutlich für die Aufnahme verschiedener Zucker zuständig. Wir sahen eine klare Veränderung dieser Proteine im Laufe der Zeit“, so Francis weiter. „Das weist darauf hin, dass sich die Bakterien zu Beginn hauptsächlich auf die 'leicht abbaubaren' Substrate, wie Laminarin und Stärke, konzentrieren. Später greifen sie die 'schwerer abbaubaren' Polymere an, die aus Mannose und Xylose bestehen.“

Ein Zucker nach dem anderen

Mit anderen Worten: Die Bakterien nehmen zuerst den leichten Weg. Erst wenn die Leckerbissen verzehrt sind, machen sie sich über die zähen Brocken her. Wann geht dieser Wandel vonstatten? Ben Francis und seine Kolleginnen und Kollegen sehen zwei mögliche Auslöser: Entweder werden die zähen Brocken immer attraktiver je mehr der Wettbewerb um die leichten Nahrungsquellen zunimmt, weil sich die Bakterien in dieser üppigen Umgebung schnell vermehren und damit die Zellzahlen steigen. Oder aber es hängt mehr von den Algen ab: Wenn die Algenblüte zusammenbricht und immer mehr Algen sterben, sammeln sich mehr 'schwer verdauliche' Reste an, die dadurch zu einer effizient nutzbaren Nahrungsquelle werden.

Obwohl die Forschenden aus Bremen und Greifswald die Dynamik von Algen- und Bakterienblüten in der Nordsee schon lange untersuchen, war dieser zeitliche Verlauf bisher unentdeckt geblieben. „Durch die Kombination modernster Proteomik-Techniken mit Probenvorbereitungsmethoden, die speziell auf die hohe Komplexität dieser sehr anspruchsvollen Proben zugeschnitten sind, konnten wir einen der umfassendsten Proteom-Datensätze mit mehr als 20.000 Proteingruppen erstellen. Diese Daten zeigten, dass sich die Substratspezifität der Transporterproteine im Laufe der Zeit verändert. Diese Veränderungen waren in dem entsprechenden metagenomischen Datensatz, an dem die Vielfalt der Bakterien untersucht wurde, nicht sichtbar“, sagt Dörte Becher von der Universität Greifswald. „Das zeigt deutlich, dass wir sehr tief graben müssen, um die zugrunde liegenden ökologischen Prozesse zu verstehen, die den marinen Kohlenstoffkreislauf steuern.“ Die Quantifizierung von Transporterproteinen könnte also ein wichtiges Stück zur Lösung des hochkomplexen Puzzles des marinen Kohlenstoffkreislaufs sein.

Die Co-Autoren Dörte Becher und Thomas Schweder von der Universität Greifswald vor dem in dieser Studie verwendeten Massenspektrometer. © Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald / D. Becher
Die Co-Autoren Dörte Becher und Thomas Schweder von der Universität Greifswald vor dem in dieser Studie verwendeten Massenspektrometer. © Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald / D. Becher

Kombination von Methoden ermöglicht neue Einblicke

„Diese detaillierte 'meta-proteogenomische' Studie vereint die außergewöhnliche Expertise der Universität Greifswald, Proteine in komplexen Umweltproben zu identifizieren und quantifizieren, mit unserer Expertise in der molekularen mikrobiellen Ökologie“, betont Rudolf Amann, Co-Autor der Studie und Direktor des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das komplexe heterotrophe Mikrobiom der Nordsee auf zweierlei Art auf Algenblüten reagiert: Einerseits verändern sich infolge des wechselnden Nahrungsangebots die Bakterienarten nach einem wiederkehrenden Muster, andererseits verändert sich aber auch die Expression von Transporterproteinen und Abbauenzymen deutlich.“ Letztendlich wird es die Kombination verschiedener Methoden sein, die unser Wissen über die Moleküle, enzymatischen Reaktionen und Raten, die dem marinen Kohlenstoffkreislauf zugrunde liegen, voranbringen wird. Und das ist eine wichtige Voraussetzung, um den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre vorherzusagen und zu managen.

Werfen Sie einen Blick hinter die Kulissen in dem Blogpost von Ben Francis (nur auf Englisch):

https://naturemicrobiologycommunity.nature.com/posts/metagenomes-tell-us-the-what-metaproteomes-tell-us-the-how-much

Originalveröffentlichung

Ben Francis, Daniel Bartosik, Thomas Sura, Andreas Sichert, Jan-Hendrik Hehemann, Stephanie Markert, Thomas Schweder, Bernhard M. Fuchs, Hanno Teeling, Rudolf I. Amann, Dörte Becher (2021): Changing expression patterns of TonB-dependent transporters suggest shifts in polysaccharide consumption over the course of a spring phytoplankton bloom. The ISME Journal 2021

DOI: 10.1038/s41396-021-00928-8

Beteiligte Institutionen

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, 28359 Bremen, Deutschland

Institut für Pharmazie, Universität Greifswald, 17487 Greifswald, Deutschland

Institute of Marine Biotechnology e.V., 17489 Greifswald, Deutschland

Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald, 17487 Greifswald, Deutschland

MARUM, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen, 28359 Bremen, Deutschland

Rückfragen bitte an:

Direktor

Abteilung Molekulare Ökologie

Prof. Dr. Rudolf Amann

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

2221

Telefon: 

+49 421 2028-9300

Prof. Dr. Rudolf Amann

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger

 

Executive Director

Microbial Proteomics

 

 

Prof. Dr. Dörte Becher

 

Institut für Mikrobiologie

 

Universität Greifswald

 

Telefon: +49 3834 420 5903

 

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