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Neue Haupt­dar­stel­ler im Mee­res­bo­den: Eine bis­lang kaum be­ach­te­te Bak­te­ri­en­grup­pe im Ram­pen­licht

17.02.2020

Von den Küsten bis in die Tiefsee ist in den Meeresböden unseres Planeten eine Bakteriengruppe besonders weit verbreitet: Die sogenannten Woe­sei­ales, die sich möglicherweise von den Eiweiß-Überresten abgestorbener Zellen ernähren. Verbreitung, Vielfalt und Lebensweise dieser Bakterien beschreiben nun Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und des Niederländischen Forschungsinstituts NIOZ im Fachmagazin The ISME Journal.

Das Forschungsschiff Polarstern in der Arktis. (© Alfred-Wegener-Institut/ Stefanie Arndt, CC-BY 4.0)
Das Forschungsschiff Polarstern in der Arktis. (© Alfred-Wegener-Institut/ Stefanie Arndt, CC-BY 4.0)

Ma­ri­ne Se­di­men­te be­de­cken mehr als zwei Drit­tel der Ober­flä­che un­se­res Pla­ne­ten. Den­noch sind sie ge­ra­de in den tie­fe­ren Re­gio­nen der Ozea­ne kaum er­forscht. Die dort le­ben­den Bak­te­ri­en sind für ihre Er­näh­rung fast ganz auf das an­ge­wie­sen, was in Form von Über­res­ten von Or­ga­nis­men aus den obe­ren Was­ser­schich­ten in die Tief­see rie­selt. Je nach­dem, wie sie die­ses Ma­te­ri­al ver­ar­bei­ten, ver­bleibt es für lan­ge Zeit in den Tie­fen des Mee­res oder wan­dert als Koh­len­di­oxid wie­der zu­rück zur Ober­flä­che. Da­durch spie­len die Bak­te­ri­en der Mee­res­bö­den eine be­deu­ten­de Rol­le bei­spiels­wei­se für den welt­wei­ten Koh­len­stoff­kreis­lauf und sind ein span­nen­des und wich­ti­ges For­schungs­ob­jekt.

Haupt­dar­stel­ler im Mee­res­bo­den

Das Team „Benthische Mikrobiologie“ auf der Polarstern-Expedition PS85 zum arktischen Langzeitobservatorium HAUSGARTEN. Josephine Rapp (ganz links), Christina Bienhold (zweite von rechts) und Katy Hoffmann (ganz rechts) sind Koautoren der Studie, Stefan Becker (zweiter von links) unterstützte die Probenahme. (© S. Becker)
Das Team „Benthische Mikrobiologie“ auf der Polarstern-Expedition PS85 zum arktischen Langzeitobservatorium HAUSGARTEN. Josephine Rapp (ganz links), Christina Bienhold (zweite von rechts) und Katy Hoffmann (ganz rechts) sind Koautoren der Studie, Stefan Becker (zweiter von links) unterstützte die Probenahme. (© S. Becker)

Das For­schungs­team um Chris­ti­na Bi­en­hold und Katy Hoff­mann vom Bre­mer Max-Planck-In­sti­tut, so­wie Pier­re Off­re, der mitt­ler­wei­le am NIOZ auf der In­sel Texel tä­tig ist, hat nun eine be­son­ders vor­herr­schen­de Mi­kro­ben­grup­pe iden­ti­fi­ziert und cha­rak­te­ri­siert. „Zwar sind die­se Bak­te­ri­en schon län­ger in der Li­te­ra­tur be­kannt“, be­rich­tet Bi­en­hold. „Aber nie­mand schenk­te ih­nen bis­her grö­ße­re Auf­merk­sam­keit.“ Wäh­rend das Team die Rol­le die­ser Grup­pe in der Tief­see un­ter­such­te, be­schäf­tig­ten sich an­de­re For­schen­de am Bre­mer Max-Planck-In­sti­tut mit ih­rer Be­deu­tung in Küs­ten­sedi­men­ten. „Und erst jetzt wird klar, wie zahl­reich und weit ver­brei­tet die Woeseiales sind“, so Bi­en­hold wei­ter. Be­ein­dru­cken­de 40 Mil­lio­nen Zel­len le­ben pro Mil­li­li­ter Tief­see­bo­den – ge­mein­sam mit ei­ner Mil­li­ar­de an­de­rer Bak­te­ri­en.

In ei­nem Fin­ger­hut voll Mee­res­schlamm fin­den sich dem­nach etwa 120 Mil­lio­nen Ex­em­pla­re der nun be­schrie­be­nen Bak­te­ri­en­grup­pe. „Uns ist bis­her kei­ne an­de­re Bak­te­ri­en­grup­pe be­kannt, die mit ei­ner so ho­hen An­zahl von Zel­len im Mee­res­bo­den vor­kommt.“ Auf den ge­sam­ten Tief­see­bo­den hoch­ge­rech­net wür­de die welt­wei­te Po­pu­la­ti­on der Woeseiales 5 x 1026 Zel­len be­tra­gen, schät­zen die Au­to­ren. „Wenn man be­denkt, dass die­se Schät­zun­gen we­der die Küs­ten­sedi­men­te noch den tie­fen Un­ter­grund ein­schlie­ßen, könn­te die­se Bak­te­ri­en­grup­pe zu den am häu­figs­ten vor­kom­men­den Mi­kro­or­ga­nis­men auf der Erde ge­hö­ren“, er­klärt Bi­en­hold.

Eine Grup­pe mit viel­fäl­ti­gen öko­lo­gi­schen Rol­len

In ih­rer Stu­die stel­len die Au­to­rin­nen und Au­to­ren auch das bis­he­ri­ge Wis­sen über die Di­ver­si­tät und Ver­brei­tung die­ser Bak­te­ri­en dar. Die­ses ba­siert auf DNA-Se­quenz­da­ten, die sich in­ner­halb der letz­ten zwei Jahr­zehn­te in öf­fent­li­chen Da­ten­ban­ken an­ge­sam­melt ha­ben, be­inhal­tet aber auch eine Rei­he neu­er Da­ten, un­ter an­de­rem vom ark­ti­schen Tief­see­bo­den an dem vom Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tut be­trie­be­nen Langzeitobservatorium HAUSGARTEN. „Un­se­re Ana­ly­sen zei­gen, dass die Grup­pe Woeseiales eine Viel­zahl von Or­ga­nis­men mit un­ter­schied­li­chen Le­bens­wei­sen um­fasst“, er­klärt Pier­re Off­re, Leit­au­tor der Stu­die. „Zum Bei­spiel le­ben im glei­chen Stück Mee­res­bo­den ver­schie­de­ne Ar­ten von Woeseiales und er­fül­len ver­mut­lich ver­schie­de­ne öko­lo­gi­sche Funk­tio­nen für den Le­bens­raum. Un­se­re Stu­die ist ein ers­ter Leit­fa­den zur Öko­lo­gie die­ser fas­zi­nie­ren­den Grup­pe.“

Die nun vor­lie­gen­den Er­geb­nis­se deu­ten zu­dem dar­auf hin, dass die Woeseiales so­ge­nann­tes pro­te­inö­ses Ma­te­ri­al als Nah­rung nut­zen könn­ten, bei­spiels­wei­se Res­te von Zell­wän­den und Mem­bra­nen oder an­de­re Über­res­te ab­ge­stor­be­ner Le­be­we­sen. Pro­te­ine sind eine wich­ti­ge Quel­le von Stick­stoff – ei­nem grund­le­gen­den Nähr­stoff für alle Le­bens­for­men – in ma­ri­nen Se­di­men­ten. Falls die Woeseiales-Bak­te­ri­en die­se Pro­te­ine tat­säch­lich ab­bau­en kön­nen,  wäre das öko­lo­gisch be­deut­sam für die Ver­füg­bar­keit von Stick­stoff im Öko­sys­tem Mee­res­bo­den. „Ich bin über­zeugt da­von, dass uns wei­te­re Un­ter­su­chun­gen die­ser Bak­te­ri­en neue Ein­bli­cke in die Koh­len­stoff- und Stick­stoff­kreis­läu­fe in ma­ri­nen Se­di­men­ten er­mög­li­chen wer­den“, schließt Off­re, der auch mit sei­ner Ar­beits­grup­pe am NIOZ den öko­lo­gi­schen Er­folg die­ser Mi­kro­or­ga­nis­men wei­ter er­forscht.

Tiefsee-Meeresboden am Langzeitobservatorium HAUSGARTEN in der Arktis. Die Aufnahme entstand mit dem „Ocean Floor Observation System“ des Alfred-Wegener-Instituts. (© OFOS, Alfred Wegener Institute)
Tiefsee-Meeresboden am Langzeitobservatorium HAUSGARTEN in der Arktis. Die Aufnahme entstand mit dem „Ocean Floor Observation System“ des Alfred-Wegener-Instituts. (© OFOS, Alfred Wegener Institute)

Behind the paper:

Le­sen Sie mehr über die Ar­beit hin­ter die­ser Pu­bli­ka­ti­on im ent­spre­chen­den Blog­post von Chris­ti­na Bi­en­hold und Pier­re Off­re: https://naturemicrobiologycommunity.nature.com/users/348350-pierre-offre/posts/59450-spotlight-on-woeseiales-bacteria-cosmopolitan-denizens-of-marine-sediments

Die hier vor­ge­stell­ten Er­geb­nis­se ent­stan­den im Rah­men des For­schungs­pro­jekt ABYSS un­ter Lei­tung von Ant­je Boe­ti­us, Grup­pen­lei­te­rin am Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie und Di­rek­to­rin am Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tut Helm­holtz-Zen­trum für Po­lar- und Mee­res­for­schung, das zwi­schen 2012 und 2018 von der Eu­ro­päi­schen For­schungs­kom­mis­si­on ge­för­dert wur­de.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zu ABYSS fin­den Sie hier: https://erc.europa.eu/projects-figures/stories/life-deep-microbes-abyss

 

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

Rück­fra­gen bit­te an:

NIOZ Royal Netherlands Institute for Sea Research

De­part­ment of Ma­ri­ne Mi­cro­bio­lo­gy and Bio­geo­che­mis­try, and Ut­recht Uni­ver­si­ty, Den Burg, The Nether­lands

Dr. Pierre Offre

Pho­ne:  +31 (0)222 369 489

E-Mail: Pier­re.Off­re@nioz.nl

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
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