Seitenpfad:

29.09.2011 Die mikrobielle Vielfalt der Meere

Von der Küste bis zur Tiefsee: Ein Überblick über die Vielfalt bakterieller Gemeinschaften in den verschiedenen Zonen und Lebensräumen des Meeres
 
Die Mikroben des Meeres haben bereits früh in der Erdgeschichte maßgeblich zur globalen Biomasse und zur Biodiversität beigetragen und eine wichtige Rolle in den Nährstoffkreisläufen gespielt. Im Meer gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Lebensräume für Mikroorganismen: Sonnenbeschienenes Oberflächenwasser und dunkles Tiefenwasser, nährstoffreiche Küstengewässer und nährstoffarme „Wasserwüsten“ und den Meeresboden, der wiederum viele verschiedene Lebensräume für Mikroorganismen stellt. Da ist es naheliegend, dass sich bei all dieser Vielfalt auch die Zusammensetzung der Gemeinschaft der mikrobiellen Bewohner unterscheidet. Dennoch gibt es bislang kaum Informationen über die Verteilung der Mikroben innerhalb und zwischen den unterschiedlichen marinen Lebensräumen.

So verschieden können marine Ökosysteme sein. Dem Uhrzeigersinn nach oben links beginnend: Arktisches Oberflächenwasser vor Spitzbergen (Foto: A. Boetius), Sediment des Schleswig-Holsteinischen Wattenmeeres (Foto A. Gobet), Leben auf dem Tiefseeboden des Guaymas Basins auf 2000 m Tiefe, Baja California, Mexiko (Foto A. Ramette, Alvin Cruise AT 15-40, 2008, Bordcamera Alvin), Sediment des schwarzen Meeres mit Wurmröhren auf 100 m Tiefe (Foto A. Boetius, ROV Quest, MARUM MSM13-3).
Lucie Zinger, Antje Boetius und Alban Ramette vom Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie haben in Kooperation mit ihren Kollegen aus mehreren amerikanischen Forschungsinstituten die bakterielle Diversität in mehr als 500 Proben aus allen Teilen der Weltmeere untersucht. Darunter waren verschiedene Proben aus der Wassersäule (dem pelagischen Bereich), sowie aus der Bodenzone des Meeres (dem benthischen Bereich). Die Proben kamen sowohl aus küstennahen Gewässern als auch aus der Tiefsee, aus sauerstofffreien Gewässern und Sedimenten und von Hydrothermalquellen. Die Wissenschaftler extrahierten die in den Proben befindliche Erbsubstanz (DNA) und sequenzierten daraufhin einen stark variablen Bereich des bakteriellen ribosomalen RNA-Gens, den V6–Bereich, in einem besonderen Verfahren, das einen sehr hohen Durchsatz erlaubt. Nachdem sie die einzelnen Sequenzen zu mehr als 120.000 OTUs (operational taxonomic units, d.h. zu taxonomischen Einheiten) zusammengesetzt hatten, nutzten sie multivariate Datenanalysen, um herauszufinden, inwiefern die einzelnen Faktoren wie Umwelt, Geographie und Primärproduktion (also die Produktion von Biomasse im Wasser) die Veränderung der mikrobiellen Gemeinschaften beeinflussen.
Weltkarte mit den Probennahmestellen. Die pelagischen Stellen sind mit einem Kreis, die benthischen mit einem Dreieck markiert. Die unterschiedlichen Ökosysteme sind farblich gekennzeichnet: orange für küstennah, hellblau für das Oberflächenwasser des offenen Meeres, dunkelblau für Tiefsee, rot für anoxische Bereiche und lila für Hydrothermalquellen.
„Die pelagischen und die benthischen mikrobiellen Gemeinschaften unterscheiden sich stark auf allen taxonomischen Ebenen“, sagt Lucie Zinger. „Weniger als 10 % der bakteriellen Arten kommen in beiden Lebensräumen vor.“ Alban Ramette erklärt diese Beobachtung: „Die verschiedenen Bereiche bieten Lebensräume mit sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen, was möglicherweise einen starken selektiven Druck auf die mikrobiellen Gemeinschaften ausübt.“ Die Wissenschaftler geben an, dass auch die Produktivität (Entstehung von Biomasse) und die geographische Lage für die Verschiedenartigkeit von Gemeinschaften verantwortlich sind. Im Bereich der Küstenregionen und Tiefseequellen könnte die Heterogenität und Dynamik dieser Regionen die hohe Variabilität der Gemeinschaften dieser Lebensräume erklären.
Die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaften unterscheidet sich im pelagischen und benthischen Bereich. Oben: Die Häufigkeit, mit der die 10 abundantesten Bakterienklassen in den beiden Bereichen vorkommen. Unten: Die Anteile, mit denen die wichtigsten Bakteriengruppen im Durchschnitt in den jeweiligen Bereichen vertreten sind. P steht für pelagisch, B für benthisch.
Die Ergebnisse dieser Studie verdeutlichen nicht nur, wie unterschiedlich pelagische und benthische Lebensräume sind, sondern lassen auch Muster erkennen, wie sie miteinander in Verbindung stehen. Die Verteilung der bakteriellen Gemeinschaften im Oberflächenwasser und dem darunterliegenden benthischen Bereich korreliert beispielsweise mit der Biomasseproduktion im Oberflächenwasser. Dies zeigt, dass der pelagische Bereich und der benthische Bereich über das Absinken von Partikeln gekoppelt ist.
Eine weitere interessante Erkenntnis der Studie war, dass sich pelagische Gemeinschaften in ökologisch gleichartigen, aber räumlich weit voneinander getrennten Lebensräumen ähnlich sind. Benthische Gemeinschaften hingegen unterscheiden sich in entfernt voneinander gelegenen Gebieten stark, was die Wissenschaftler auf einen eingeschränkten physikalischen Austausch am Meeresboden im Vergleich zur Wassersäule zurückführen.

Die Forscher um Lucie Zinger haben zum ersten Mal im großen Maßstab die Zusammensetzung der bakteriellen Gemeinschaften der Weltmeere untersucht und sind dabei auf erstaunliche Verteilungsmuster gestoßen. „Unsere Ergebnisse sollen einen Anstoß liefern, tiefer in die Diskussion um die Definition mariner Ökosysteme einzusteigen“, erwarten die Wissenschaftler und fügen hinzu: „Die Analyse der Biogeographie von marinen Mikroben hat uns gezeigt, dass wir unsere Hypothesen zur weltweiten Verbreitung von Bakterien nochmals überdenken müssen. Unsere neuen Erkenntnisse werden wir uns sicherlich die nächsten Jahre beschäftigen.“

Rita Dunker

Rückfragen an

Dr. Lucie Zinger [Bitte aktivieren Sie Javascript]
Dr. Alban Ramette 0421 2028 863 [Bitte aktivieren Sie Javascript]
Prof. Dr. Antje Boetius 0421 2028 860 [Bitte aktivieren Sie Javascript]

Oder an die Pressesprecher

Dr. Rita Dunker 0421 2028 856 [Bitte aktivieren Sie Javascript]
Dr. Manfred Schlösser 0421 2028 704 [Bitte aktivieren Sie Javascript]

Originalarbeit

Global patterns of bacterial beta-diversity in seafloor and seawater ecosystems. L. Zinger, L. A. Amaral-Zettler, J. A. Fuhrman, M. C. Horner-Devine, S. M. Huse, D. B. Mark Welch, J. B. H. Martiny, M. Sogin, A. Boetius, and A. Ramette. PLOS one 6(9), 2011.

http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0024570

DOI: 10.1371/journal.pone.0024570

Beteligte Institute

Max Planck Institute for Marine Microbiology, Bremen, Germany

Josephine Bay Paul Center, Marine Biological Laboratory, Woods Hole, Massachusetts, USA

Department of Biological Sciences, University of Southern California, USA

School of Aquatic and Fisheries Sciences, University of Washington, Seattle, USA

Department of Ecology and Evolutionary Biology, University of California, Irvine, California, USA

HGF MPG Joint Research Group on Deep Sea Ecology and Technology, Alfred Wegener Institute for Polar and Marine Research, Bremerhaven, Germany
Back to Top