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Tief­see­bak­te­ri­en er­näh­ren sich wie ihre Nach­barn

18.11.2019
Eine neue Bak­te­ri­en­grup­pe, die in Sym­bio­se mit Tief­see­mu­scheln lebt, bin­det Koh­len­stoff auf über­ra­schen­de Wei­se.

Eine neue Bakteriengruppe, die symbiotisch in Tiefseemuscheln lebt, nutzt einen überraschenden Weg, um Kohlenstoff zu binden: Mit Hilfe des Calvin-Zyklus wandeln sie Kohlenstoff in leckere Nahrung um. Die Gene, die für diesen Prozess gebraucht werden, haben sich die Bakterien von benachbarten symbiotischen Bakterien in der Muschel geholt. Diese Entdeckung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie, die jetzt im ISME Journal veröffentlicht wurde, stellt unser aktuelles Verständnis der Wege zur Kohlenstofffixierung in der Tiefsee in Frage.

Lebensgemeinschaft an Hydrothermalaustritten am Mittelatlantischen Rücken in etwa 3.000 Meter Wassertiefe. (© MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen)
Lebensgemeinschaft an Hydrothermalaustritten am Mittelatlantischen Rücken in etwa 3.000 Meter Wassertiefe. (© MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen)

In der Tief­see fern­ab des Son­nen­lichts nut­zen Or­ga­nis­men che­mi­sche En­er­gie, um Koh­len­stoff zu bin­den. An hydro­ther­ma­len Quel­len – an de­nen hei­ßes, mi­ne­ral­rei­ches Was­ser aus hoch auf­ra­gen­den Schlo­ten, den so­ge­nann­ten schwar­zen Rau­chern, spru­delt – lässt die che­mi­sche En­er­gie im aus­tre­ten­den Was­ser üp­pi­ge Öko­sys­te­me sprie­ßen.

In die­ser schein­bar le­bens­feind­li­chen Um­ge­bung ge­dei­hen Mu­scheln, die von sym­bio­ti­schen Bak­te­ri­en in­ner­halb ih­rer Kie­men er­nährt wer­den. Die Bak­te­ri­en ver­wan­deln Sub­stan­zen aus den Quel­len, die die Mu­schel nicht selbst nut­zen kann, in schmack­haf­te Nah­rung für den Wirt.

Eine In­ter­na­tio­na­les Team von For­schen­den um Ni­co­le Du­bi­lier vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men und Jil­li­an Pe­ter­sen, die mitt­ler­wei­le an der Uni­ver­si­tät Wien tä­tig ist, be­rich­tet nun im ISME Journal, dass die Koh­le­stoff­fi­xie­rung in der Tief­see viel­fäl­ti­ger ist als bis­her an­ge­nom­men.

Thiobarba, das neueste Mitglied in der Symbiose   

Dass Tief­see­mu­scheln der Gat­tung Bathymodiolus, ent­fern­te Ver­wand­te der im Flach­was­ser le­ben­den Mies­mu­schel, in ih­ren Kie­men Sym­bi­on­ten be­hei­ma­ten, ist seit Lan­gem be­kannt.

Im Jahr 2016 ent­deck­te Adri­en As­sié wäh­rend sei­ner Dok­tor­ar­beit am Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, dass auch zwischen den Kie­men der Mu­schel sym­bio­ti­sche Bak­te­ri­en le­ben, die er Thiobarba nann­te. As­siés wei­te­re Un­ter­su­chung zeig­te, dass die­se Bak­te­ri­en nicht nur ei­ner bis­her un­be­kann­ten Fa­mi­lie an­ge­hö­ren, son­dern sich auch auf un­er­war­te­te Wei­se er­näh­ren. „Thiobarba bin­det Koh­len­stoff mit Hil­fe des Cal­vin-Zy­klus”, er­klärt Ni­ko­laus Leisch, ei­ner der bei­den Er­st­au­to­ren der Stu­die. „Sie sind die ers­ten aus die­ser Bak­te­ri­en­grup­pe, die die­sen Weg der Koh­len­stoff­fi­xie­rung nut­zen.” Übli­cher­wei­se nutzt die­se Grup­pe den so­ge­nann­ten um­ge­kehr­ten TCA-Zy­klus, der deut­lich en­er­gie­ef­fi­zi­en­ter ist, um Koh­len­stoff zu fi­xie­ren. Al­ler­dings funk­tio­niert die­ser nicht be­son­ders gut, wenn Sau­er­stoff im Was­ser ist – und das ist er in den Kie­men der Mu­schel reich­lich.

„Die­se Ent­de­ckung stellt un­se­re bis­he­ri­gen An­nah­men dar­über, wel­che Bak­te­ri­en­grup­pen wel­che Art der Koh­len­stoff­fi­xie­rung ver­wen­den, in Fra­ge“, so Leisch wei­ter.

CO2 fixieren nach Art der Nachbarn

Die Fa­mi­lie Thiobarba ge­hört ei­ner Bak­te­ri­en­grup­pe na­mens Ep­si­lon­pro­te­ob­ac­te­ria an, die kürz­lich in Cam­py­lo­bac­te­ro­ta um­be­nannt wur­den. Bis­her wa­ren kei­ne Mit­glie­der die­ser Grup­pe be­kannt, die mit Mu­scheln in Sym­bio­se le­ben oder den Cal­vin-Zy­klus nut­zen. Wo­her hat Thiobarba die nö­ti­gen ge­ne­ti­schen Werk­zeu­ge für die­sen Zy­klus?

„Un­ser Er­geb­nis­se, ba­sie­rend auf me­ta­ge­no­mi­scher Se­quen­zie­rung, deu­ten dar­auf hin, dass sie ei­ni­ge der er­for­der­li­chen Gene von an­de­ren Sym­bi­on­ten er­wor­ben ha­ben, die in den Kie­men der Mu­scheln le­ben“, sagt Adri­en As­sié, der an­de­re Er­st­au­tor der Stu­die, der mitt­ler­wei­le am Bay­lor Col­le­ge of Me­di­ci­ne in Hous­ton, Te­xas, tä­tig ist. „Da die­se En­do­sym­bi­on­ten in­ner­halb des Mu­schel­ge­we­bes le­ben, ha­ben sie eine deut­lich en­ge­re sym­bio­ti­sche Be­zie­hung zur Mu­schel ent­wi­ckelt. Be­vor sich Thiobarba er­folg­reich auf den Kie­men von Bathymodiolus an­sie­deln konn­te, müs­sen sich ihre Vor­fah­ren das nö­ti­ge Hand­werks­zeug von den En­do­sym­bi­on­ten ab­ge­schaut ha­ben. Da­durch war es ih­ren Nach­fah­ren mög­lich, den Mu­schel­wirt so er­folg­reich zu be­sie­deln.“

 

Symbiose als Blaupause für die Evolution

Als nächs­tes mach­ten sich die Wis­sen­schaft­le­rIn­nen auf die Su­che nach ähn­li­chen Pro­zes­sen bei frei­le­ben­den Cam­py­lo­bac­te­ro­ta. Und tat­säch­lich ent­hiel­ten Bak­te­ri­en aus Was­ser­pro­ben, die an Hydro­ther­mal­quel­len ent­nom­men wur­den, die ent­spre­chen­den Gene. Der Cal­vin-Zy­klus könn­te in die­ser Grup­pe also durch­aus wei­ter ver­brei­tet sein als bis­her an­ge­nom­men.

„Un­se­re For­schung an sym­bio­ti­schen Bak­te­ri­en bringt im­mer wie­der Er­kennt­nis­se zu­ta­ge, die auch für frei­le­ben­de Bak­te­ri­en be­deut­sam sind. In­dem wir Sym­bio­sen stu­die­ren, kön­nen wir viel über das mi­kro­bi­el­le Le­ben im All­ge­mei­nen und des­sen Evo­lu­ti­on ler­nen“, schließt Pro­jekt­lei­te­rin Ni­co­le Du­bi­lier.

Eingefärbtes Bild aus dem Transmissionselektronenmikroskop; Bathymodiolus-Gewebe in Grün; Zellen von Ca. Thiobarba, die außerhalb der Wirtszellen leben, in Gelb. Der typische Endosymbiont der Bathymodiolus– Muscheln ist hellblau eingefärbt. (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / Nikolaus Leisch)
Eingefärbtes Bild aus dem Transmissionselektronenmikroskop; Bathymodiolus-Gewebe in Grün; Zellen von Ca. Thiobarba, die außerhalb der Wirtszellen leben, in Gelb. Der typische Endosymbiont der Bathymodiolus– Muscheln ist hellblau eingefärbt. (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / Nikolaus Leisch)

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Adri­en As­sié, Ni­ko­laus Leisch, Di­mi­tri V. Mei­er, Ha­rald Gru­ber-Vo­di­cka, Anke Mey­er­dier­ks, Ma­nu­el Klei­ner,  Tjor­ven Hinz­ke, Sa­man­tha Joye, Ni­co­le Du­bi­lier, Jil­li­an M. Pe­ter­sen: Horizontal acquisition of a patchwork Calvin cycle by symbiotic and 
free-living Campylobacterota (formerly Epsilonproteobacteria). ISME Jour­nal.

DOI: 10.1038/s41396-019-0508-7

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen:

Rück­fra­gen bit­te an:

Dr. Adrien Assié

Bay­lor Col­le­ge of Me­di­ci­ne, Hous­ton, USA

E-Mail: adrien.assie@bcm.edu

Direktorin

Abteilung Symbiose

Prof. Dr. Nicole Dubilier

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

3241

Telefon: 

+49 421 2028-9320

Prof. Dr. Nicole Dubilier

Ass. Prof. Dr. Jillian Petersen

Uni­ver­si­tät Wien

Te­le­fon: +43 1 4277 91206

Email: petersen@microbial-ecology.net

 
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