Seitenpfad:
  • Presse
  • Wenn dem Meeresboden der Atem stockt

Wenn dem Meeresboden der Atem stockt: Zeitweiliger Sauerstoffmangel hat jahrzehntelange Auswirkungen

10.02.2017

Periodische Schwankungen im Sauerstoffgehalt des Bodenwassers können den Kohlenstoffspeicher im Meeresboden und seine Bewohner auf Jahrzehnte verändern. Das zeigt eine neue Untersuchung im Schwarzen Meer, die nun in der Fachzeitschrift Science Advances erscheint. Die Ergebnisse sind besonders bedeutsam, da Sauerstoff in immer größeren Bereichen der Meere Mangelware ist.

Der Meeresboden spielt eine Schlüsselrolle in den weltweiten Stoffkreisläufen. Die Organismen, die dort leben, verzehren und verarbeiten herabsinkendes organisches Material. Ein kleiner Teil des eintreffenden Materials wird üblicherweise im Boden vergraben. Der Großteil wird von den Bodenbewohnern remineralisiert, also abgebaut und in seine Bestandteile zerlegt, und steht danach dem Ökosystem für neue Biomasseproduktion zur Verfügung. So beeinflusst das Schicksal dieses Materials am Meeresboden maßgeblich die weltweiten Kohlenstoff- und Nährstoffzyklen und in der Folge die Produktivität der Meere und unser Klima.

 

 Kurzer Mangel, lange Wirkung

 Welche Organismen am Meeresboden leben und wie aktiv sie sind, hängt maßgeblich davon ab, wie viel Sauerstoff im Meeresboden verfügbar ist. Inwieweit auch kurzfristige Schwankungen des Sauerstoffgehalts die Remineralisierung - und damit die Menge an Kohlenstoff, die vergraben wird - verändern, war lange unklar. Die nun vorliegende Studie einer internationalen 

Das Forschungsschiff Maria S. Merian
Das Forschungsschiff MARIA S. MERIAN im Hafen von Sewastopol. (Copyright: F. Janssen, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen)
Tauchboot JAGO nimmt Sedimentkerne am Meeresboden.
Tauchboot JAGO nimmt Sedimentkerne am Meeresboden. Sauerstoff dringt nur bis knapp unter die Oberfläche ein, die schwarzen und grauen Schichten sind sauerstofffrei.
(Copyright: JAGO-Team, GEOMAR Kiel)
Mit Hilfe eines Multicorers sammelten Jessen und seine Kollegen Sedimentkerne.
Mit Hilfe eines Multicorers sammelten Jessen und seine Kollegen Sedimentkerne, anhand derer sie detaillierte Untersuchungen der Zusammensetzung und Besiedlung des Meeresbodens durchführen konnten.
(Copyright: R. North, Eawag)

For­scher­grup­pe um Gerd­hard Jes­sen vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie zeigt: Sin­ken­de Sau­er­stoff­wer­te im Bo­den­was­ser be­ein­flus­sen den Koh­len­stoffspei­cher im Mee­res­bo­den frü­her und über grö­ße­re Flä­chen als bis­her an­ge­nom­men, und das über Jahr­zehn­te hin­weg. Wird der Sau­er­stoff am Mee­res­bo­den knapp, so wird deut­lich we­ni­ger or­ga­ni­sches Ma­te­ri­al ab­ge­baut und deut­lich mehr ver­gra­ben. Und was ein­mal ver­gra­ben ist, bleibt auch lan­ge im Un­ter­grund. „Um die Hälf­te mehr Ma­te­ri­al ver­bleibt im Bo­den, wenn der Sau­er­stoff im Bo­den­was­ser im­mer mal wie­der knapp wird“, so Jes­sen. „So­gar für die Tie­re le­cke­re Häpp­chen wie frisch ab­ge­sun­ke­nes Al­gen­ma­te­ri­al, das ei­gent­lich leicht um­zu­set­zen ist, bleibt dann jahr­zehn­te­lang un­ge­nutzt.“

 

Das Schwarze Meer als natürliches Labor

 Im La­bor sind sol­che lang­fris­ti­gen und kom­ple­xen Pro­zes­se nur schwer nach­zu­voll­zie­hen. Des­we­gen un­ter­such­te das in­ter­na­tio­na­le For­scher­team im Rah­men des EU FP7 Pro­jek­tes HY­POX mit dem For­schungs­schiff Ma­ria S. Me­ri­an das Schwar­ze Meer, das größ­te na­tür­li­che sau­er­stoff­freie Ge­wäs­ser der Welt. Dort gibt es durch eine be­son­ders sta­bi­le Schich­tung des Mee­res eine na­tür­li­che Ab­nah­me des Sau­er­stoffs im Bo­den­was­ser, vom gut durch­lüf­te­ten Flach­was­ser über Ge­bie­te mit va­ria­blen Sau­er­stoff­be­din­gun­gen bis ins sau­er­stoff­freie Tie­fen­was­ser un­ter­halb von etwa 160 m Was­ser­tie­fe. „Wir nutz­ten den Mee­res­bo­den im Schwar­zen Meer wie ein na­tür­li­ches La­bor. Dort lässt sich un­ter­su­chen, was vie­len Be­rei­chen der Welt­mee­re be­vor­ste­hen könn­te“, er­klärt Jes­sen.

 „Sau­er­stoff­ar­me Zo­nen in den Ozea­nen neh­men durch mensch­li­che Nähr­stof­f­e­in­trä­ge und Ozea­ner­wär­mung immer weiter zu“, er­läu­tert Ant­je Boe­ti­us, Lei­te­rin der HGF MPG Brü­cken­grup­pe für Tief­see-Öko­lo­gie und -Tech­no­lo­gie und Lei­te­rin der Stu­die. „Des­we­gen ist es be­son­ders wich­tig, zu ver­ste­hen und zu mes­sen, was Sau­er­stoff­ar­mut für das Le­ben im Meer und die gro­ßen bio­geo­che­mi­schen Kreis­läu­fe be­deu­tet.“

 Doch sie sind da­bei dann sehr lang­sam. So kommt es, dass bei we­ni­ger Sau­er­stoff im Bo­den­was­ser mehr or­ga­ni­sches Ma­te­ri­al ver­gra­ben wird. An­ae­ro­be Mi­kro­or­ga­nis­men, die ohne Sau­er­stoff bei­spiels­wei­se durch Fer­men­ta­ti­on oder Sul­fat­re­duk­ti­on ihre En­er­gie ge­win­nen, über­neh­men das Ru­der. Sie pro­du­zie­ren dann den gif­ti­gen Schwe­fel­was­ser­stoff, der den Ab­bau wei­ter ver­lang­samt.

„Vom Schwar­zen Meer kön­nen wir viel ler­nen“, sagt Boe­ti­us, „denn dort kann man die Aus­wir­kun­gen von Sau­er­stoff­man­gel auf das Öko­sys­tem Meer und sei­ne Be­deu­tung auch für uns Men­schen be­son­ders gut er­for­schen. Sol­che Un­ter­su­chun­gen sind an­ge­sichts des glo­ba­len Wan­dels un­ver­zicht­bar, um mög­li­che Alarm­si­gna­le aus den Ozea­nen recht­zei­tig zu er­ken­nen.“

 

Hintergrund

 

Einfluss von Sauerstoff im Bodenwasser auf das Ökosystem an der nordwestlichen Krim/Schwarzmeer-Schelf.
Ein­fluss von Sau­er­stoff im Bo­den­was­ser auf das Öko­sys­tem an der nord­west­li­chen Krim/​Schwarz­meer-Schelf. Bei an­dau­ernd ho­hen Sau­er­stoff­kon­zen­tra­tio­nen (rechts) fin­den sich zahl­rei­che Bo­den­tie­re, die den Bo­den gründ­lich durch­lüf­ten. Die Re­spi­ra­ti­ons­ra­ten von Tie­ren und ae­ro­ben Mi­kro­or­ga­nis­men sind ent­spre­chend hoch (gel­ber/​oran­ger Be­reich). Bei be­gin­nen­der Sau­er­stoff­ar­mut (Mit­te) sin­ken die Re­spi­ra­ti­ons­ra­ten, ge­rin­ge­re Bio­tur­ba­ti­on führt ei­nem An­stieg an­ae­rober Mi­kro­ben und Um­sät­ze.Un­ter sau­er­stoff­frei­en Be­din­gun­gen (links) le­ben nur mehr Mi­kro­or­ga­nis­men.
(Co­py­right: G. Jes­sen, in: Sci­ence Ad­van­ces 2017)

Originalveröffentlichung

Gerdhard L. Jessen, Anna Lichtschlag, Alban Ramette, Silvio Pantoja, Pamela E. Rossel, Carsten J. Schubert, Ulrich Struck, Antje Boetius: Hypoxia causes preservation of labile organic matter and changes seafloor microbial community composition (Black Sea). Science Advances 2017. DOI: 10.1126/sciadv.1601897

Beteiligte Institute

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen

Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven

Universität Concepción, Concepción, Chile

ICBM-MPI Brückengruppe, Universität Oldenburg

Eawag: Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, Kastanienbaum, Schweiz

Museum für Naturkunde, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Berlin

 

Rückfragen bitte an

Dr. Gerdhard Jessen

E-Mail: gjessen(at)mpi-bremen.de

             gjessen(at)gmail.com

Prof. Dr. Antje Boetius

Telefon: +49 421 2028 860

E-Mail: aboetius(at)mpi-bremen.de

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
 
 
 
 
Back to Top