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Was Galapagos-Finken und Meeresbakterien gemein ist

19.02.2020
Polaribacter-Bakterien vermeiden Nahrungskonkurrenz während der Frühjahrsalgenblüte, indem sie sich auf unterschiedliche Zucker spezialisieren.

Die „Ökologische Nische“ ist ein Konzept, das von Tieren gut bekannt ist. Weniger bekannt ist, dass auch Bakterien mitunter ausgeprägte ökologische Nischen haben. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen zeigen nun, dass nah verwandte Bakterien-Gruppen der Gattung Polaribacter, die während Algenblüten in der Nordsee gehäuft auftreten, nur ganz bestimmte, von den Algen freigesetzte Zucker fressen und so unterschiedliche Nischen besetzen. Die Ergebnisse stellen sie in The ISME Journal vor.

 

Algenzellen (blau) umgeben von Algen-abbauenden Bakterien (grün). (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / I. Bakenhus)
Algenzellen (blau) umgeben von Algen-abbauenden Bakterien (grün). (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / I. Bakenhus)

Die Artenvielfalt von Finken auf dem abgelegenen Galapagos-Archipel ist das wohl bekannteste Beispiel für die Theorie der Evolution durch natürliche Selektion von Charles R. Darwin und Alfred R. Wallace. Galapagos-Finkenarten haben unterschiedliche Schnabelgrößen und -formen entwickelt und sich dadurch an unterschiedliche Nahrungsquellen angepasst. Auf diese Weise können die eigentlich eng verwandten Finkenarten die verfügbaren Nahrungsressourcen untereinander aufteilen, Konkurrenz vermeiden und so denselben Lebensraum nutzen.

Blüte mit großer Wirkung

Dieses Prinzip ist nicht auf Tiere beschränkt, sondern gilt auch für die kleinsten Lebewesen des Meeres. Satellitenbilder von Küstengebieten während warmer Jahreszeiten zeigen oft, dass der Ozean eher grün als blau ist. Diese Farbe rührt von einer immensen Zahl mikroskopisch kleiner Meeresalgen her – einer sogenannten Algenblüte. Solche Blüten sind zumeist nur von kurzer Dauer: Irgendwann sind die vorhandenen Nährstoffe erschöpft, und auch Fressfeinde, wie tierische Einzeller (Protisten) und Viren, tragen ihren Teil zum Tod der Algen bei. Gegen Ende einer Blüte kommt es daher zu einem Massensterben der Algen, wodurch große Mengen organischer Substanzen in das Meerwasser gelangen, darunter auch Algenpolysaccharide. Diese Polysaccharide, auch als „Mehrfachzucker“ bekannt, sind eine wichtige Nahrungsquelle für viele Meeresbakterien.

Enge Nischen für kleine Lebewesen

Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie untersuchen seit mehr als einem Jahrzehnt die bakterielle Reaktion auf Frühjahrsalgenblüten vor der Insel Helgoland in der Deutschen Bucht. Während dieser Frühjahrsblüten wächst in den meisten Jahren eine sehr ähnliche, wechselseitig miteinander verknüpfte Gemeinschaft bestimmter Bakteriengruppen heran. Besonders zahlreich vertreten sind dabei Bakterien der Gattung Polaribacter, welche zur Klasse der Flavobakterien zählen. Von 2009 bis 2012 untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Auftreten von Polaribacter während Frühjahrsblüten und identifizierten dabei mehrere gleichzeitig auftretende Untergruppen. „Wir haben festgestellt, dass die Polaribacter-Gruppen ziemlich wählerisch sind, wenn es um die Zuckerbestandteile der Algen geht“, berichtet Burak Avcı vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. „Oder, präziser formuliert: Sie haben ausgeprägte Nischen in Bezug auf Algenpolysaccharide.“

Dies spiegelt sich auch in der zeitlichen Abfolge wider, in der die Gruppe auftreten. Unterschiedliche Gruppen zeigten sich zu verschiedenen Phasen der Blüte. „Eine Gruppe, die augenscheinlich zumeist früh zur Stelle ist, ist durch kleine Genome mit einer begrenzten Zuckerabbaukapazität gekennzeichnet. Sie bevorzugen wahrscheinlich Algenproteine. Im Gegensatz dazu hat eine andere Gruppe, die später auf den Plan tritt, größere Genome und die Fähigkeit, komplexere Polysaccharide zu nutzen“, erklärt Avcı. Eine weitere Gruppe profitiert womöglich in besonderer Weise vom Vorhandensein einer bestimmten Alge (Gattung Chattonella). Sie zeichnet sich durch große Genome aus und hat das vielfältigste Zuckermenü aller untersuchten Polaribacter-Gruppen.

Nahrungsverbindung zwischen Mikroalgen und Bakterien im Meer. Das Satellitenbild der Deutschen Bucht zeigt eine Algenblüte und die Insel Helgoland (gelber Kreis) (© NASA / Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, Goddard Space Flight Center). Enthalten ist eine schematische Darstellung von intakten Mikroalgen sowie solcher, die bereits teilweise durch Bakterien abgebaut wurden. (© M. Schlösser).
Nahrungsverbindung zwischen Mikroalgen und Bakterien im Meer. Das Satellitenbild der Deutschen Bucht zeigt eine Algenblüte und die Insel Helgoland (gelber Kreis) (© NASA / Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, Goddard Space Flight Center). Enthalten ist eine schematische Darstellung von intakten Mikroalgen sowie solcher, die bereits teilweise durch Bakterien abgebaut wurden. (© M. Schlösser).

Ökologische Bedeutung

Wie die Galapagos-Finken zeigen diese Ergebnisse, dass auch nahverwandte Meeresbakterien (hier Arten innerhalb der Gattung Polaribacter) durch die Aufteilung der verfügbaren Ressourcen direkte Konkurrenz vermeiden. „Eine der grundlegenden Fragen in der mikrobiellen Ökologie ist, welche Faktoren für die Zusammensetzung einer Mikrobengemeinschaft maßgeblich sind. Studien wie diese helfen uns, die dahinterliegenden Prinzipien besser zu verstehen“, so Avcı. Besonders wichtig erscheint das für Bakterien, welche Algen-Biomasse abbauen. Dieser Prozess setzt nämlich von den Algen zuvor in ihre Biomasse eingebautes Kohlendioxid wieder frei und stellt somit einen wesentlichen Bestandteil des globalen Kohlenstoffkreislaufs dar. Gerade der mikrobielle Anteil am globalen Kohlenstofffluss ist jedoch bislang noch nicht ausreichend verstanden.

Schnäbel und Bakterien haben mehr gemeinsam, als man denkt. Umschlagillustration aus der Doktorarbeit von Burak Avcı. (© Illustration, Ismail Tsavous).
Schnäbel und Bakterien haben mehr gemeinsam, als man denkt. Umschlagillustration aus der Doktorarbeit von Burak Avcı. (© Illustration, Ismail Tsavous).

Originalveröffentlichung

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Postdoc


Burak Avcı

Aarhus University
Department of Bioscience

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8000 Aarhus C
Denmark
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Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

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Dr. Fanni Aspetsberger
 
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