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16.09.2015 Tief­see­mu­scheln mit hoch­gif­ti­gen Un­ter­mie­tern

16.09.2015

Stel­len Sie sich vor, Sie ha­ben ei­nen Un­ter­mie­ter. Er be­füllt Ih­nen re­gel­mä­ßig den Kühl­schrank. Aber ne­ben­bei pro­du­ziert er auch noch al­ler­lei Gift. Mehr Scha­den als Nut­zen? Nicht un­be­dingt. Es kommt ganz dar­auf an, wozu Sie das Gift be­nut­zen.

Tief­see­mu­scheln mit hoch­gif­ti­gen Un­ter­mie­tern


Hei­ße Tief­see­quel­len sind Le­bens­räu­me mit dem ge­wis­sen Et­was: Auf den ers­ten Blick wir­ken sie recht un­ge­müt­lich, sind aber tat­säch­lich wah­re Oa­sen des Le­bens. Und auch ihre Be­woh­ner sind stets für Über­ra­schun­gen gut. Wie gif­ti­ge Un­ter­mie­ter zu Wohl­tä­tern wer­den, be­rich­tet nun in der Fach­zeit­schrift eLi­fe eine in­ter­na­tio­na­le For­scher­grup­pe um Jil­li­an Pe­ter­sen vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie.

Mu­scheln der Gat­tung Ba­thy­mo­dio­lus ge­hö­ren zur Fa­mi­lie der Mies­mu­scheln und le­ben häu­fig an hei­ßen Quel­len in der Tief­see. In ih­ren Kie­men züch­ten die Mu­scheln so ge­nann­te che­mo­a­u­to­tro­phe Sym­bi­on­ten. Das sind bei­spiels­wei­se Schwe­fel­bak­te­ri­en, die für die Mu­scheln nicht nutz­ba­re Stof­fe aus den hei­ßen Quel­len in schmack­haf­ten Zu­cker um­wan­deln.

Bathymodiolus-Muscheln an der  Menez Gwen- Hydrothermalquelle vor der Küste  der Azoren, aufgenommen während der Schiffsreise M82/3 des Forschungsschiffes Meteor. © MARUM, University of Bremen/Germany.
Bathymodiolus-Muscheln an der Menez Gwen- Hydrothermalquelle vor der Küste der Azoren, aufgenommen während der Schiffsreise M82/3 des Forschungsschiffes Meteor. © MARUM, University of Bremen/Germany.

Jil­li­an Pe­ter­sen und ihre Kol­le­gen ha­ben nun das Erb­ma­te­ri­al ei­ni­ger Un­ter­mie­ter der Tief­see­mu­scheln un­ter die Lupe ge­nom­men. Wi­der Er­war­ten stie­ßen sie da­bei auf al­ler­lei Ge­fah­ren­stof­fe. Denn die sym­bi­on­ti­schen Bak­te­ri­en be­sit­zen ein gan­zes Ar­se­nal an Ge­nen, die der Her­stel­lung von Gift­stof­fen (To­xi­nen) die­nen. Die Zahl der To­xi­ne ist be­ein­dru­ckend: Mit bis zu 60 Gif­ten ist die Waf­fen­kam­mer der Mi­kro­or­ga­nis­men bes­ser ge­füllt als die von hoch­ge­fähr­li­chen Kei­men wie bei­spiels­wei­se dem Pest- oder dem Cho­le­ra-Er­re­ger. Den­noch schei­nen die Bak­te­ri­en ih­ren Gast­ge­bern nicht zu scha­den. Wie kann das sein?

"Wir ver­mu­ten, dass die Bak­te­ri­en die­se To­xi­ne ge­zähmt ha­ben”, er­klärt Pe­ter­sen. “Da­durch kön­nen sie sie nun zu ih­rem Vor­teil nut­zen – und zum Vor­teil ih­res Gast­ge­bers.” Zwei­er­lei po­si­ti­ver Nut­zen der Gift­stof­fe ist da­bei denk­bar: Ei­ner­seits kön­nen sie Bak­te­ri­en und Mu­scheln da­bei hel­fen, ihre je­wei­li­gen Part­ner zu er­ken­nen und zu fin­den, um so über­haupt erst eine er­folg­rei­che Sym­bio­se ein­ge­hen zu kön­nen. An­de­rer­seits die­nen die To­xi­ne ver­mut­lich auch dazu, Fress­fein­de von den Mu­scheln ab­zu­hal­ten.

“Bis­her be­kann­te Sym­bio­sen ha­ben meist nur ei­nen Nut­zen – ent­we­der hel­fen die Sym­bi­on­ten ih­ren Wir­ten bei der Er­näh­rung oder bei der Ver­tei­di­gung ge­gen Fress­fein­de. Die Part­ner­schaft von Ba­thy­mo­dio­lus mit den Schwe­fel­bak­te­ri­en, die wir nun un­ter­sucht ha­ben, lie­fert mög­li­cher­wei­se bei­des: Schutz und Nah­rung. Das ist schon recht au­ßer­ge­wöhn­lich”, be­tont Liz­beth Sa­ya­ve­dra, die die Un­ter­su­chung zu­sam­men mit Jil­li­an Pe­ter­sen im Zuge ih­rer Dok­tor­ar­beit durch­ge­führt hat. Der Un­ter­mie­ter füllt also nicht nur den Kühl­schrank, er be­wacht auch noch die Woh­nung.

In ei­nem nächs­ten Schritt will Pe­ter­sen nun er­for­schen, wie der Schutz durch die Bak­te­ri­en­to­xi­ne im De­tail funk­tio­niert. Für ei­nen der Gift­stof­fe konn­te bis­her nach­ge­wie­sen wer­den, dass er tat­säch­lich im Ge­we­be der Mu­schel frei­ge­setzt wird. “Un­se­re Er­geb­nis­se ge­ben der For­schung über die Rol­le von Pa­ra­si­ten und Pa­tho­ge­nen in der Tief­see ganz neue Im­pul­se”, so Pe­ter­sen, die seit Kur­zem eine Nach­wuchs­grup­pe an der Uni­ver­si­tät Wien lei­tet.

“Wir ken­nen bis heu­te kei­nen Krank­heits­er­re­ger, der so vie­le ver­meint­lich schäd­li­che Sub­stan­zen pro­du­ziert”, fügt Liz Sa­ya­ve­dra hin­zu. “Wer weiß – viel­leicht stel­len wir ei­nes Ta­ges fest, dass man­che Gene, die heu­te als Gift­pro­du­zen­ten gel­ten, ur­sprüng­lich eine ganz för­der­li­che Rol­le in ei­ner sol­chen Part­ner­schaft spiel­ten.”

Ver­öf­fent­li­chung

Sa­ya­ve­dra et al. (2015) Ab­un­dant to­xin-re­la­ted ge­nes in the ge­no­mes of be­ne­fi­ci­al sym­bi­onts from deep-sea hydro­ther­mal vent mus­sels. eLi­fe 2015;10.7554/​eLi­fe.07966

http://​eli­fe­sci­en­ces.org/​con­tent/​ear­ly/​2015/​09/​14/​eLi­fe.07966

Kon­takt

Dr. Jil­li­an Pe­ter­sen
Sym­bio­se-Ab­tei­lung
Max-Planck-In­sti­tut für ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie
http://​www.mpi-bre­men.de/​en/​Jil­li­an_­Pe­ter­sen.html
jm­pe­ters@mpi-bre­men.de

Ak­tu­el­le Adres­se:
De­part­ment für Mi­kro­bio­lo­gie und Öko­sys­tem­for­schung
Di­vi­si­on of Mi­cro­bi­al Eco­lo­gy
Uni­ver­si­tät Wien
http://​www.mi­cro­bi­al-eco­lo­gy.net/​peop­le/​jil­li­an-pe­ter­sen
pe­ter­sen@mi­cro­bi­al-eco­lo­gy.net

Rück­fra­gen bit­te an:

 
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