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Olavius - Ein Leben ohne Darm

Olavius algarvensis – Ein Leben ohne Darm

 

Oder, um mit den Worten von Frau Prof. Dr. Nicole Dubilier zu sprechen: „Kein Mund, kein Po und trotzdem froh.“ 

Olavius algarvensis ist ein Wurm aus der Tiergruppe der Wenigborster innerhalb der Ringelwürmer und ist schlank wie ein Zwirnsfaden. Sein Durchmesser beträgt lediglich 0,2 Millimeter bei bis zu fünf Zentimetern Länge.

Also ein mageres Modell der Würmerwelt. Er besteht größtenteils aus Wasser und ist, wie auch sein Verwandter der Regenwurm, in mehrere Segmente unterteilt. Bei den Segmentübergängen, die wie geschnürt aussehen, lassen sich winzige Borsten erkennen. Diese helfen dem Wurm zum Beispiel an Sedimenten Halt zu finden und verfügen über eine entsprechende Muskulatur. Die beiden parallel laufenden großen Blutgefäße schimmern beim Mikroskopieren orange. Olavius algarvensis verfügt über ein Gehirn und Bauchmark. Dies kommt dem bekannten Rückenmark gleich, liegt allerdings im Bauch. Sein Nervensystem durchzieht gleichmäßig seinen Körper.

So sieht er unter dem Mikroskop aus:

Olavius unter dem Mikroskop (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/ S. Paulsen)
Olavius unter dem Mikroskop (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/ S. Paulsen)
 
Was macht Olavius algarvensis, der seinen Namen seinem Entdecker Professor Olav Giere aus Hamburg und seinem ersten Fundort – der Algarve – verdankt, nun so besonders und für die Forscher höchst interessant?

Allein die Tatsache, dass der marine Wurm keinen Bissen frisst, ist es nicht. Als man ihn entdeckte, stellte man die Hypothese auf, dass die Nahrungsaufnahme wohl, ähnlich wie beim Bandwurm, über die Haut erfolgen müsste und schenkte Olavius algarvensis zunächst keine weitere Beachtung.

Ende der 70er Jahre beobachteten amerikanische Wissenschaftler in etwa 3000 Meter Wassertiefe Röhrenwürmer mit einem ähnlich reduzierten Verdauungssystem wie Olavius algarvensis. Dies war eine sensationelle Entdeckung. In der sonst wüstenähnlichen Tiefsee fand man an schwarzen Rauchern, auch Hydrothermalquellen genannt, riesige Tiergemeinschaften. Der Röhrenwurm fühlte sich an den kochend heißen Quellen, die aus dem Erdinnern sprudeln und über 350 Grad Celsius heißes, schwarzes Wasser gemischt mit Schwefelwasserstoff ausspucken, wohl.

Man fand heraus, dass der Röhrenwurm besondere Bakterien im Inneren enthält, die den Schwefelwasserstoff, welcher auf fast alle Tiere wie ein Gift wirkt, nicht nur unschädlich machen können, sondern auch zur Energiegewinnung nutzen. Durch Sulfidoxidation bauen diese Mikroorganismen Kohlendioxid in Zucker um und versorgen nicht nur sich selbst, sondern helfen auch dem Röhrenwurm über die Runden. Chemosynthese ist das Schlagwort, welche im Gegensatz zur Fotosynthese unabhängig vom Licht durch eine chemische Prozedur Energie gewinnt und damit Biomasse produziert.

Olavius unterm Mikroskop (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/ S. Paulsen)
Olavius unterm Mikroskop (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/ S. Paulsen)

So finden sich chemosynthetisch aktive Lebewesen in Lebensräumen, die oftmals lichtarm sind. Bakterien wie Schwefelbakterien sind zur Chemosynthese in der Lage. Der Röhrenwurm wiederum bedankt sich bei den Bakterien im Gegenzug mit einer hervorragenden Wohnlage nahe der Nahrungsquelle. Eine klassische Symbiose: eine Zweckgemeinschaft zweier Organisationen zum beiderseitigen Vorteil. Der Wurm (also der Wirt)  bietet den Bakterien Schutz und filtert ihnen mit kiemenartigen Tentakeln einen steten Nachschub an Schwefelwasserstoff heran. Die Bakterien (auch Symbionten genannt) liefern dafür Nährstoffe.

 

Warum ist Olavius algarvensis interessanter als die "dunkle Energie" in der Tiefsee, die durch Symbionten ein Leben fernab vom Sonnenlicht ermöglicht?

Olavius algarvensis lebt an Orten, an welchen die Voraussetzung für chemosynthetische Symbiosen nicht günstig sind. Es gibt dort also weniger Schwefelverbindungen wie Sulfid in der Umgebung als an den Hydrothermalquellen, die es den Bakterien ermöglichen, ihre Wirte zu versorgen und das Überleben zu sichern, und das auch noch ohne „Mund, Darm und Po“.  Wir haben es bei den Oligochaeten übrigens mit der einzig bekannten Wirtsgruppe zu tun, die auch ihre Ausscheidungsorgane reduziert hat.

Wie überlebt er denn dann?

Der marine Vetter des Regenwurms beherbergt nicht nur einen, sondern mindestens drei Typen von Bakterien. Zwei davon sind bereits genauer identifiziert. So bilden zwei Schwefelbakterien (Gamma-Proteobakterien) und zwei sulfatreduzierende Bakterien (Delta-Proteobakterien) eine Symbiose. Also zwei verschiedene Symbiontentypen logieren in einem Wirt und profitieren auch noch voneinander.

Ist das nicht nachteilig für den Wirt? Entstehen nicht Konkurrenzkämpfe um Raum und Nahrung? Oder salopp gesprochen: Ist bei Dreien nicht einer zuviel?

Die Bremer Wissenschaftlerin Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie ging der Sache auf den Grund und fand folgendes heraus: Olavius algarvensis beherbergt als primäre Symbiose-Partner zwei Schwefelbakterien, die Energie aus der Oxidation von Schwefelwasserstoff gewinnen. Da aber Schwefelwasserstoff nicht in ausreichenden Mengen im Lebensraum von Olavius algarvensis vorkommt, hat sich der Wurm sozusagen eine eigene Schwefelwasserstoffquelle ins Haus geholt. Es sind zwei sulfatreduzierende Bakterien, die Schwefelwasserstoff produzieren. In ihrem internen Schwefelzyklus tauschen beide Bakterienarten ihre Stoffwechselprodukte untereinander aus und ernähren damit gleichzeitig ihren Wirt.

Hoppla, dass klingt erst einmal komplex. Was hat der Wurm von diesem aufwändigen Arrangement?

Der zyklische Austausch von Stoffwechselprodukten zwischen den beiden Symbionten führt dazu, dass diese mehr Energie produzieren als ohne Partner. Und diese zusätzliche Energie kommt dem Wurm zu Gute, welcher entsprechend wachsen kann. Ein weiterer Vorteil für Olavius ist, dass die ihm lästigen Stoffwechselprodukte, also sein Abfall, nicht ausgeschieden werden muss, sondern von dem sulfatreduzierenden Bakterium abgenommen wird und somit intern ein „symbiontisches Recycling“ möglich ist.

Wie­der­ver­wer­ten statt aus­schei­den, das spart Rohstoffe und somit haben Ola­vi­us und sein sul­fi­doxi­die­ren­der Sym­bi­ont stets eine in­ne­re Schwe­fel­was­ser­stoff­quel­le bei sich, die eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Habitat, in der Biologie der charakteristische Aufenthaltsbereich einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart, nach sich zieht. Infolge der Dreierbeziehung kann Olavius algarvensis also auch Lebensräume erobern, in denen Schwefelwasserstoff knapp ist.

Bleibt zu guter Letzt noch die Aufgabe, den dritten Bakterientyp zu entschlüsseln. Man weiß bereits, dass er heterotroph ist. Dies bedeutet, dass er organisches Material für seine Körpersubstanz benötigt und dadurch also von seinem Wirt abhängig ist. Hilft es womöglich noch zusätzlich bei der Versorgung? Es bleibt also spannend um diesen außergewöhnlichen darmlosen Wurm. Wann wohl sein nächstes Geheimnis gelüftet wird?   

Audio-Interview

Svenja spricht mit Alexander Gruhl darüber, warum Olavius algarvensis so faszinierend ist und wie die Forschung an dem Wurm funktioniert

 

Weiterlesen

Kommt jetzt mit mir Backstage und lest, wie die Forschung an Olavius funktioniert. Bitte hier entlang.

In einem weiteren Text stelle ich Euch ein ganz wichtiges Instrument vor, mit dem Olavius für Menschen sichtbar wird: Das Konfokalmikroskop.

Glossar

Chemosynthese

Chemosynthese ist eine mikrobielle Ernährungsform.

Hierbei wird ausschließlich Energie aus dem Abbau chemischer Verbindungen gewonnen, um Biomasse aus einfachen Kohlenstoffverbindungen aufzubauen. Die häufigste Form der Chemosynthese ist die Chemoautotrophie. Dabei wird Kohlendioxid als einzige Kohlenstoffquelle in körpereigene Stoffe umgewandelt und für den Aufbau organischer Verbindungen verwendet. Chemoautotrophe Mikroorganismen sind auch Primärproduzenten. Ein weiteres Beispiel stellen die methanotrophen Mikroorganismen dar, welche Methan gleichzeitig als Energie- und Kohlenstoffquelle verwenden.

 

Symbiose

Eine Symbiose ist eine Zweckgemeinschaft mehrerer Organismen zum beiderseitigen Vorteil, bei welchem der größere Partner immer der Wirt und der kleinere der Symbiont ist.

Es gibt drei verschiedene Möglichkeiten, wenn man von Symbiose spricht. Bei den ersten beiden leben die Symbionten entweder auf der äußeren Körperoberfläche des Wirtes (Ektosymbiose) oder im Inneren des Wirtes (Endosymbiose). Die Endosymbiose wird dann noch einmal aufgeteilt in extrazellulär, das bedeutet, dass die Symbionten außerhalb der Wirtszellen leben und intrazellulär, wo die Symbionten innerhalb der Wirtszellen leben. Findet diese über einen längeren Zeitraum statt, lassen sich häufig Anpassungen an den Körperbau beobachten. In diesem Fall können bestimmte Organe teilweise oder vollständig reduziert sein und die Symbionten übernehmen deren Funktion.

Quellen

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