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Plas­tik in der Tief­see: Nach ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert noch wie neu

11.06.2020
Ers­te Lang­zeit­stu­die zum Kunst­stoff­abbau in mehr als 4000 Me­tern Was­ser­tie­fe

Auch in den abgelegensten Regionen der Ozeane lassen sich mittlerweile Plastikteile nachweisen. Doch wie lange sie dort schon liegen, ist meist nicht feststellbar. Das macht Abschätzungen zu deren möglichem Abbau schwierig. Ein Team von Forschenden aus Kiel und Bremen hat jetzt erstmals Kunststoffteile untersucht, die nachweislich 20 Jahre und länger in der Tiefsee verbracht haben. Die Forscherinnen und Forscher konnten keine Spuren von Fragmentierung oder gar Abbau feststellen, berichten sie nun im Online-Fachjournal Scientific Reports.

Kunst­stof­fe sind lang­le­big. Das ist ihr gro­ßer Vor­teil. Doch wenn sie un­kon­trol­liert in die Um­welt ge­lan­gen, wird die­ser Vor­teil zum Nach­teil. Ein natürli­cher Ab­bau, wie bei or­ga­ni­schen Stof­fen, fin­det nach heu­ti­gen Er­kennt­nis­sen nicht statt. Wie lan­ge ein­zel­ne Pro­duk­te wirk­lich in der Um­welt ver­blei­ben, kann nur ge­schätzt wer­den. Es feh­len ent­spre­chen­de Lang­zeit­ver­su­che.

Be­son­ders schwie­rig ist dies in der nur we­nig er­forsch­ten Tief­see. Plas­tik­tei­le, die zufällig mit Hil­fe von Tief­see­ro­bo­tern oder Tauch­boo­ten ge­fun­den wer­den, sind kaum da­tier­bar. For­sche­rin­nen und For­scher des GEO­MAR Helm­holtz-Zen­trums für Oze­an­for­schung Kiel, des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men so­wie der Chris­ti­an-Al­brechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel konn­ten während ei­ner Ex­pe­di­ti­on mit dem deut­schen For­schungs­schiff SON­NE im Jahr 2015 al­ler­dings meh­re­re Müll­tei­le vom mehr als 4000 Me­ter tie­fen Bo­den des Ost­pa­zi­fiks ber­gen, de­ren Al­ter sich mit et­was De­tek­tiv­ar­beit recht ge­nau fest­stel­len ließ. Sie bo­ten erst­mals die Ge­le­gen­heit für eine Lang­zeit­ana­ly­se des Plas­ti­kab­baus in der Tief­see. Die Stu­die ist nun im in­ter­na­tio­na­len Fach­jour­nal Scientific Reports er­schie­nen.

An Bord des Forschungsschiffs SONNE stellte sich heraus, dass die Plastiktüte eine Cola-Dose enthielt. Die Beschriftung war noch gut zu erkennen.
Das Forschungsschiff SONNE im Südostpazifik während der Expedition SO242. Eigentlich ging es bei dieser Fahrt darum, die ökologischen Folgen von potentiellem Manganknollen-Abbau in der Tiefsee zu untersuchen. (© GEOMAR, Ralph Schwarz)

Wis­sen­schafts­de­tek­ti­ve am Werk

Das For­schungs­team war ei­gent­lich für ein an­de­res Lang­zeit­ex­pe­ri­ment im so­ge­nann­ten DIS­COL-Ge­biet, 440 See­mei­len (815 km) vor der Küste Pe­rus, im Ein­satz. Dort hat­ten deut­sche Wis­sen­schaft­ler 1989 ein Stück Mee­res­bo­den um­ge­pflügt, um die Aus­wir­kun­gen ei­nes po­ten­zi­el­len Ab­baus von Man­gank­nol­len ver­ste­hen zu können. In den Jah­ren 1992, 1996 und eben 2015 be­such­ten sie die Stel­le er­neut, um die Re­ge­ne­ra­ti­on des Tief­seeöko­sys­tems zu un­ter­su­chen.

Qua­si ne­ben­bei barg der fern­ge­steu­er­te Tief­see­ro­bo­ter ROV KIEL 6000 im Jahr 2015 auch ei­ni­ge Müll­tei­le vom Mee­res­bo­den. Dar­un­ter war eine Plas­tik­tüte mit ei­ner Cola-Dose, die zu ei­ner Son­der­edi­ti­on an­läss­lich des Da­vis-Cups 1988 gehörte. „Die Dose aus Alu­mi­ni­um al­lei­ne wäre in der Tief­see längst kor­ro­diert. Aber sie war so dicht im In­ne­ren der Plas­tik­müll­tüte ein­ge­wi­ckelt, dass sie sich er­hal­ten hat. Das zeigt auch, dass die Mülltüte das glei­che Al­ter ha­ben muss“, sagt Dr. Mat­thi­as Ha­eckel vom GEO­MAR, da­mals Pro­jekt­lei­ter an Bord und jetzt Mit­au­tor der Stu­die.

Bei ei­nem zwei­ten ge­bor­ge­nen Ob­jekt han­del­te es sich um eine Quark-Pa­ckung ei­nes deut­schen Her­stel­lers. Die auf­ge­druck­te Adres­se zeigt eine fünf­stel­li­ge Post­leit­zahl, die­se wur­den in Deutsch­land erst 1990 ein­ge­führt. Der Her­stel­ler wur­de aber schon 1999 von ei­ner Kon­kur­renz­fir­ma auf­ge­kauft, wo­mit der Mar­ken­na­me ver­schwand. Auch hier war der Zeit­raum also gut ein­zu­gren­zen.

Ab­bau: Fehl­an­zei­ge

„Da das DIS­COL-Ge­biet nicht in der Nähe wich­ti­ger Schiff­fahrts­rou­ten liegt, lie­ßen sich die Plas­tik­tüte und die Quark­ver­pa­ckung den ers­ten DIS­COL-Ex­pe­di­tio­nen 1989 und 1992 oder 1996 zu­ord­nen“, sagt Dr. Ha­eckel.

Im­mer­hin bot sich so die ex­trem sel­te­ne Ge­le­gen­heit, da­tier­ba­re Kunst­stoff­tei­le aus der Tief­see zu­hau­se in La­bo­ren ge­nau zu un­ter­su­chen. „Da­bei zeig­te sich, dass we­der die Tüte noch die Quark­pa­ckung Zei­chen von Frag­men­tie­rung oder so­gar Ab­bau in ihre Be­stand­tei­le auf­wie­sen“, sagt der Bio­che­mi­ker Dr. Ste­fan Krau­se vom GEO­MAR, Haupt­au­tor der ak­tu­el­len Stu­die, der die Ana­ly­sen an Land lei­te­te.

Plas­tik ver­än­dert die Zu­sam­men­set­zung und Funk­ti­on von Mi­kro­ben

Für die Wis­sen­schaft war auch in­ter­es­sant, dass sich auf den Kunst­stof­fen eine an­de­re Mi­kro­or­ga­nis­men­ge­mein­schaft an­ge­sie­delt hat­te, als in dem um­ge­ben­den Tief­see­bo­den vor­herrscht.Die Mi­kro­ben ka­men alle auch im Tief­see­bo­den vor, größere Kunst­stoff­men­gen führ­ten lo­kal aber zu ei­ner Ver­schie­bung im Ar­ten­ver­hält­nis.

„Aus mi­kro­bio­lo­gi­scher Sicht sind die Er­geb­nis­se die­ser Stu­die ziem­lich auf­re­gend“, fügt Dr. Mas­si­mi­lia­no Mo­la­ri vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie hin­zu, der die mi­kro­bi­el­le Ge­mein­schaft ana­ly­sier­te. „Der Plas­ti­k­ab­fall ver­än­dert die Um­welt­be­din­gun­gen dras­tisch. Zum Bei­spiel ver­rin­ger­te er höchst­wahr­schein­lich den Sau­er­stoff­fluss und schuf da­mit bes­se­re Be­din­gun­gen für Bak­te­ri­en, die stei­le Re­dox­gra­di­en­ten be­nö­ti­gen. Dar­über hin­aus do­mi­nie­ren so ge­nann­te Che­mo­lit­ho­tro­phe die an­or­ga­ni­sche Sub­stra­te zur En­er­gie­ge­win­nung nut­zen, die Mi­kro­ben­ge­mein­schaft auf dem Plas­tik. So­mit wirkt sich die Ab­la­ge­rung von Plas­tik lo­kal nicht nur auf die mi­kro­bi­el­le Viel­falt und Ge­mein­schafts­struk­tur aus, son­dern auch auf die mi­kro­bi­el­len Funk­tio­nen und de­ren Ein­fluss auf die Um­ge­bung.“

Uns selbst an die Nase fas­sen und dar­aus ler­nen

Ins­ge­samt bie­tet die Stu­die erst­mals ei­nen wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten An­halts­punkt für das Schick­sal von Plas­tik auf dem Tief­see­bo­den. Gleich­zei­tig sind die Fun­de für uns alle ein deut­li­cher Hin­weis, die Ein­hal­tung von Vor­schrif­ten bezüglich von Müll an Bord noch ge­nau­er zu be­ach­ten. „Zum Glück hat sich die Men­ta­li­tät seit den 1990er Jah­ren deut­lich ge­wan­delt. So­wohl die Crews der Schif­fe als auch die ein­ge­schiff­ten For­schungs­teams ach­ten sehr ge­nau dar­auf, dass kein Müll mehr über Bord geht“, sagt Dr. Ha­eckel.

 

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Krau­se, S., M. Mo­la­ri, E.V. Gorb, S.N. Gorb, E. Kos­sel, M. Ha­eckel (2020): Per­sis­tence of plas­tic de­bris and its co­lo­niza­t­i­on by bac­te­ri­al com­mu­nities af­ter two de­ca­des on the abys­sal seaf­loor. Scientific Reportswww.nature.com/articles/s41598-020-66361-7

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

GEO­MAR Helm­holtz-Zen­trum für Mee­res­for­schung, Kiel, Deutsch­land

Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, Bre­men, Deutsch­land

Chris­ti­an-Al­brechts-Uni­ver­si­tät, Kiel, Deutsch­land

Rück­fra­gen bit­te an:

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
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